Positionspapier zum EU-Lieferkettengesetz
Allgemeine Bewertung des EU-Lieferkettengesetzes
- Der am 15. März 2024 von den EU-Mitgliedstaaten verabschiedete finale Kompromissvorschlag des EU-Lieferkettengesetzes stellt die Unternehmen weiterhin vor riesige - nahezu unlösbare - Herausforderungen: Denn das EU-Lieferkettengesetz tangiert die unterschiedlichsten Unternehmensbereiche und erfordert – um sich rechtskonform zu verhalten – ein hohes Maß an innovativen, kollaborativen und interdisziplinären Lösungen hinsichtlich Datenvolumen, Verantwortlichkeiten, Geschäftsprozessen und Berichterstattung.
- Es werden nicht nur - wie gerne behauptet - Großunternehmen von der bestehenden nationalen und der geplanten europäischen Lieferkettengesetzgebung betroffen. Sogar Klein- und Kleinstunternehmen sind als (un-)mittelbare Lieferanten durch diese Regulatorik tangiert.
- Sich als betroffenes Unternehmen gesetzeskonform zu verhalten wird oftmals mit unverhältnismäßig hohen Kosten verbunden sein. Für große Unternehmen und Konzerne ist dieser Aufwand gegebenenfalls noch kompensierbar oder durch Outsourcing der entsprechenden Tätigkeiten darstellbar. Mittelständische und kleine Unternehmen verfügen jedoch in der Regel nicht über derartige Kapazitäten und Möglichkeiten zur Internalisierung.
- Die Implementierung des Lieferkettengesetzes erfordert Personal mit spezifischem Knowhow. Die verfügbaren Ressourcen am Arbeitsmarkt sind aktuell jedoch begrenzt und erhöhen dadurch zusätzlich den Druck auf die Unternehmen. Entweder muss man diese Dienstleistung, dieses Wissen, extern einkaufen oder vorhandenes Personal besonders Schulen oder eben zusätzliches Personal einstellen, sofern am Markt überhaupt verfügbar.
- Die bestehenden gesetzlichen und regulatorischen Anforderungen stellen bereits heute eine erhebliche Belastung für die Unternehmen dar und gefährden deren wirtschaftliche Leistungsfähigkeit im internationalen Vergleich.
- Ohne einen Paradigmenwechsel der EU sind weitere europäische Verschärfungen in der Regulatorik und damit zusätzliche Kosten zu erwarten. Teils sind diese jedoch schon beschlossen (Green Deal, Green Finance, EU-Taxonomie, CSRD u.a.). Es stellt sich deshalb die berechtigte Frage, ob weitere zusätzliche Belastungen von diesen Unternehmen, und damit der nationalen und europäischen Volkswirtschaften, noch verhältnismäßig sind?
- Viele Vorschriften national und auf EU-Ebene zielen auf dasselbe ab. Die EU müsste deshalb alle Vorschriften überprüfen, damit es nicht zu kumulierten Belastungen oder im schlimmsten Fall zu sich widersprechenden Vorschriften kommt (z.B. bei Fristen).
So geht beispielsweise das EU-Lieferkettengesetz in der derzeitigen Fassung in einigen Punkten deutlich über die nationale deutsche Gesetzgebung (LkSG) hinaus, bleibt aber gleichzeitig im Anwendungsbereich bis voraussichtlich 2029 hinter dem deutschen Gesetz zurück. Hier könnte der Einsatz von KI hilfreich sein, um Konflikte aufzudecken und diese zu beseitigen. - Es ist mehr als zweifelhaft, ob die hehren und berechtigten Ziele in den Bereichen Umwelt, Soziales und Klima so überhaupt erreicht werden können. Hauptursache für die ausbeuterische Kinderarbeit ist z.B. Armut. Wird das Lieferkettengesetzt diese Ursache mit vielfältigen Wurzeln lösen? Nein, denn ohne die Schaffung von Einkommens-alternativen vermindert in der Realität das EU-Lieferkettengesetz nur die vorhandenen Einkommensquellen und führt damit sogar zu einer höheren Verarmung in diesen Ländern. Bevor die EU also glaubt, mittels dem Lieferkettengesetz etwas global im positiven Sinne verändern zu können, müsste man zwingend für Einkommensalternativen der Familien, vernünftigen Arbeitsbedingungen der Eltern und soziale Bildungsangebote im Rahmen von weltweiten Lösungen sorgen – natürlich immer im Dialog und Mitwirkung der wirtschaftlichen Akteure vor Ort. Ansonst wird die Situation nicht verbessert, die Probleme werden verlagert und unter Umständen noch verschlimmert.
- Höhere Belastungen und eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Lebensverhältnisse für alle, dies ohne erkennbaren Nutzen, sind weder für europäische Unternehmen noch für die Verbraucher in der EU und ebenso nicht für die Menschen in den Drittstaaten eine Lösung. Es muss insbesondere auch verhindert werden, dass am Ende europäische Akteure nicht einfach durch andere „Player“ mit niedrigeren Standards ersetzt werden, die dann mit ihren Produkten unsere Unternehmen in Europa ausbooten.
- Es ist mehr als bedauerlich, dass scheinbar keine öffentliche Diskussion über alternative Zielerreichungsmöglichkeiten (Incentivierung und Unterstützung vor Ort) stattfindet.
- Bei einer umfassenden Gesetzesfolgenabschätzung des EU-Lieferkettengesetzes müssten eigentlich alle Risiken und Auswirkungen Berücksichtigung finden, und das EU-Lieferkettengesetz würde so nicht kommen. Es ist in diesem Kontext mehr als verwunderlich, dass von der Politik die zu erwartenden negativen Auswirkungen des Lieferkettengesetzes so wenig thematisiert werden.
- Am 24. April 2024 soll das EU-Parlament über das EU-Lieferkettengesetz abstimmen. Es besteht für die EU aber keine Eile, diese Entscheidung jetzt zu erzwingen. Im Gegenteil, ein Stopp würde dazu führen, dass man auf Basis der bisherigen Verhandlungsergebnisse alles noch einmal abwägen und insbesondere auch mit den Drittstaaten abstimmen könnte und das Lieferkettengesetz und seine Umsetzung ziel- und ergebnisorientiert gestaltet werden, ohne Zeitdruck und ohne ideologische Zwänge, sondern nur mit Blick auf eine tatsächliche Verbesserung der Lage in den Drittstaaten und dies zu minimalen Kosten.
Fazit
Nachhaltigkeit und ein sorgsamer Umgang mit endlichen Ressourcen, der Schutz der Umwelt, die Bekämpfung des Klimawandels sowie soziale Verantwortung zu übernehmen sind wichtige und hehre Ziele, für die EU und weltweit. Gleichzeitig kann nur ein wirtschaftlich starkes Europa globale Maßstäbe setzen und damit weltweite Verbesserungen bewirken. Diese beiden Dinge kann man nicht voneinander trennen. Das bedeutet, dass wir auf die ethischen und nachhaltigen Standards, die wir für alle Menschen wollen, beständig hinarbeiten müssen, aber gleichzeitig dabei die eigenen wirtschaftlichen Fähigkeiten nicht nachhaltig beschädigen dürfen. Die Aufblähung von Bürokratie wird das Gegenteil bewirken. In diesem Zusammenhang ist auch eine generationengerechte Politik mittels Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen wie z.B. die effiziente Verwendung von Steuergeldern zu nennen. Vor Einführung von EU-weiten Regelungen sollte zudem geprüft werden, welche nationalen Regelungen bereits bestehen und ob diese sich möglicherweise widersprechen.
Die Verwendung und der Einsatz öffentlicher Mittel von der EU oder den Nationalstaaten zur Erreichung definierter Ziele bzw. Zwecke müssen immer einen maximalen Nutzen bewirken, dies bei minimalen Kosten. Zu einer effizienten Verwendung von öffentlichen Mitteln gehört untrennbar die Erfolgskontrolle, also die Beantwortung der Fragestellungen: Werden die Ziele erreicht? Werden die dafür eingesetzten Mittel effizient verwendet? Gibt es Alternativen, die zur gleichen Zielerreichung führen, aber weniger Kosten auslösen? Sind die durch die Maßnahmen/Vorgaben/Gesetze ausgelösten Kosten verhältnismäßig? Reichen die gesetzten Fristen aus oder sind diese zu streng gesetzt? Um sicherzustellen, dass negative Auswirkungen minimiert werden, sollte deshalb immer eine umfassende Gesetzesfolgenabschätzung durchgeführt werden.
Bei EU-Zielsetzungen, die im Interesse Dritter formuliert werden, beispielshaft zu nennen die Bekämpfung der Kinderarbeit oder der Schutz von Arten, sollten zwingend die betroffenen Drittstaaten gehört und in die Entscheidungsfindung mit einbezogen werden. Betrachtet man das EU-Lieferkettengesetz (CSDDD) unter diesen Aspekten, dann ist folgendes festzustellen:
- Aktuell haben nur einige EU-Länder nationale Lieferkettengesetzgebungen (z.B. Niederlande, Frankreich und Deutschland). Dies führt zu unterschiedlichen regulatorischen Belastungen der in Europa ansässigen Unternehmen. In diesem Kontext wäre eine einheitliche europaweite CSDDD Gesetzgebung zu begrüßen.
- Das EU-Lieferkettengesetz (CSDDD) ist übereilt und unausgereift. Das Gesetz soll scheinbar noch vor der Europawahl „durchgedrückt“ werden.
- Die Bestätigung der CSDDD durch das europäische Parlament
am 24. April 2024 muss verhindert werden. - Ziel sollte eine Neuverhandlung der CSDDD in der neuen Legislaturperiode sein,
um die CSDDD praxistauglicher zu machen und unnötige Härten oder Verschärfung zu vermeiden, beispielhaft zu nennen sind Härten wie die vorgesehene zivilrechtliche Haftung, die Erweiterung der Anforderungen an nachgelagerte Bereiche der Lieferkette (Vertrieb) sowie die Verschärfung der Anforderungen an mittelbare Lieferanten. - Die betroffenen Drittstaaten sollten gehört und in die Entscheidungsfindung mit einbezogen werden, um mögliche negative Auswirkungen in den betroffenen Drittstaaten zu vermeiden.
- Probleme sollten zunächst vor Ort gelöst werden, bevor eine Gesetzgebung folgt (Incentivierung, Verwendung von Gütesiegel, Entwicklungsarbeit).
Dr. Richard BEYER Leiter European Institute for Public Finance (EIPF) |
Dr. Ingo FRIEDRICH Präsident Europäischer Wirtschaftssenat (EWS) |
Dipl. Vw. (Univ.) Gregor HÄMMERLE Wirtschaftsprüfer |
||
Dipl.-Kfm. Michael JÄGER Präsident Taxpayers Association of Europe (TAE) |
Rolf VON HOHENHAU Präsident Bund der Steuerzahler in Bayern e.V. |
Download Positionspapier (Pdf)
München/Brüssel, 2. April 2024